"Die Gründachstrategie" statt Klimaschutz

In den letzten Monaten sind mir mehrfach Hinweise auf „Gründach-Aktivitäten“ der Stadt Hamburg in unterschiedlichen Quellen aufgefallen. Jetzt habe ich mir einmal die Zeit genommen, diese Aktivitäten genauer zu betrachten. Das dazu gehörige Papier des Senats ist unter:

 

http://www.hamburg.de/gruendach/4364586/gruendachstrategie-hamburg/

 

zu finden und besagt in Kürze:

 

„Als erste deutsche Großstadt hat Hamburg eine umfassende Gründachstrategie ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es, mindestens 70 Prozent sowohl der Neubauten als auch der geeigneten zu sanierenden, flachen oder flach geneigten Dächer zu begrünen. Bis 2019 unterstützt die Behörde für Umwelt und Energie das Projekt mit drei Millionen Euro.“

Meine kritischen Anmerkungen zur "Gründachstrategie" der Stadt Hamburg

Nachdem ich dieses Papier gelesen hatte, war mein erster Gedanke, es komplett zu kommentieren. Da dies aber wahrscheinlich zu einem Buch geführt hätte, beschränkte ich mich nur auf einige wenige (aus meiner Sicht wesentliche) Punkte. Grundsätzlich kann ich auch beim besten Willen keine echten Vorteile oder Nutzen dieser Strategie erkennen und finde es sehr schade, dass die Chance jährlich 60.000 bis 100.000 t CO2-Einsparungen zu tätigen (was bei den geplanten Gründach-Flächen auf andere Weise möglich wäre), nicht genutzt werden soll.

  

 

Grüne Dächer (laut der Gründachstrategie):

 

Zitat 1: "[...] erhöhen die Biodiversität in der Stadt [...]"

Laut Umweltbundesamt (www.umweltbundesamt.de) umfasst die Biodiversität drei Bereiche:

 

·         die Vielfalt von Ökosystemen,

·         die Vielfalt der Arten,

·         die genetische Vielfalt innerhalb einer Art.

 

Diese (in Deutschland vorkommende) biologische Vielfalt müssen wir für unser Überleben nutzen und sie gleichzeitig schützen. Dies führt meines Erachtens zu der Frage:

 

"Wo kommen in Deutschlands Natur örtlich stark begrenzte (ein Dach) nicht zusammenhängende Lebensräume (Ökosysteme) vor, die an der Oberfläche von Sonneneinstrahlung und Frischluft erwärmt werden, und die in einer gewissen Tiefe mit einer wasserdichten Wärmeisolierung versehen sind?" Soweit ich weiß, nirgendwo!

 

Das bedeutet, man schafft "neue" Ökosysteme, die es so nicht gibt, und versucht, dies als etwas Positives hinzustellen. Dann muss man auch das Abschmelzen des Eises auf Grönland positiv bewerten, weil sich die dortige Biodiversität "erhöht". Und wenn man dann noch guckt (googlen), welche Pflanzen sich für Flachdächer eignen und vertrieben werden, so sind dies hauptsächlich Pflanzen der Gattung Sedum, Herkunftsland Japan ("Einbringung von gebietsfremde Art" siehe unten *1).

 

 

Was Sinn machen würde, wäre die Entlastung von Ökosystemen, die in Deutschland bedroht sind.

Zitat 2: "[...] fördern die positive Wirkung des Stadtklimas [...]"

Das Stadtklima ist von der World Meteorological Organization (WMO, www.wmo.int) als gegenüber dem Umland verändertes Lokalklima definiert. Sehr dichte Bebauung und fehlende Vegetation sowie die Emissionen von Luftschadstoffen und Abwärme können in Städten zu einer höheren Durchschnittstemperatur und Schadstoffkonzentration sowie zu niedrigeren Luftfeuchtigkeiten und Windgeschwindigkeiten führen, als im ländlichen Umland vorherrschen. Stadtklima kann gesundheitliche Schäden (erhöhte Sterblichkeit und Krankheiten!!!) und Veränderungen der Flora und Fauna verursachen.

Zitat 3: "[...] können die Überlastung der Entwässerungssysteme und die Gefahr der Überflutung in Hamburg verringern [...]"

Wenn es technisch problemlos möglich ist, dass Regenwasser eines Einfamilienhauses zu sammeln und sinnvoll zu nutzen (siehe unten Anmerkung zum Zitat 10), muss es auch möglich sein, dies bei anderen Haustypen zu realisieren, beziehungsweise sollte schon lange Standard sein.

 

Die Gründachstrategie:

 

Zitat 4: "[...] verbindet in neuer und innovativer Weise das stadtentwicklungs-politische Ziel der nachhaltigen Flächenentwicklung mit den klimapolitischen Zielsetzungen der Klimafolgenanpassung und des Klimaschutzes [...]"

Welche Reduktionen beim klimaschädlichen CO2-Ausstoss notwendig sind, welche Ziele die Bundesregierung/ der Senat beschlossen haben und wie dramatisch weit sie von diesen Zielen entfernt sind, kann (Hamburgs CO2-Emissionen) entnommen werden. Wie das Klima in einer Stadt/ Hamburg sein wird, wenn die notwendigen Maßnahmen (den CO2-Ausstoss um 80 oder mehr Prozent zu senken) zum Klimaschutz umgesetzt worden sind, kann soweit ich weiß keiner vorhersagen.

 

Zitat 5: [...] Dächer werden als nutzbare Freiräume erschlossen [...]

Kann man/darf man unbegrünte Flachdächer nicht nutzen? Das wäre mir neu. Es wird aus meiner Erfahrung nur sehr selten beziehungsweise überhaupt nicht gemacht. Warum Bewohner von Häusern mit Flachdächern nicht die Sonnenliege und den Grill (das wird sicherlich aus brandschutztechnischen Gründen nicht gehen, wir sind schließlich in Deutschland) rausholen und die frische Luft genießen, ist mir schon immer ein Rätsel.

Zitat 6: [...] verbessern das Erscheinungsbild der Stadt [...]

Wer kann die Dächer sehen? Wohl nur sehr wenige, außer man nutzt "Google Maps". Und dann bleibt es immer noch eine Geschmacksfrage, und darüber lässt sich ja bekannter Weise nicht streiten.

Zitat 7: [...] sie sind kombinierbar mit der energiewirtschaftlichen Nutzung der Dachflächen durch Photovoltaik/Solarthermie [...]

Wenn man eine Dachfläche zur Verfügung hat, um eine Photovoltaik-Anlage zu installieren oder Solarthermie-Anlage zu betreiben, gibt es wenig Sinn, die mit einer Grünfläche zu kombinieren. Warum sollte man nicht die vorhandene Fläche für den jeweiligen Anlagentyp ganz nutzen?

Zitat 8: [...] tragen zur Verbesserung der Energiebilanz von Gebäuden bei (Hitzeab-schirmung und Wärmedämmung), sie reduzieren Energieverbräuche und CO2-Emissionen [...]

Dazu muss man wissen, dass Bodenmaterialien eine hohe Wärmekapazität (die Fähigkeit Wärme zu speichern) haben. Wasser hat die höchste Wärmekapazität überhaupt. Die Wärmekapazität von Isolierstoffen ist im Vergleich vernachlässigbar. Die Wärmeleitfähigkeit (die Fähigkeit Wärme zu transportieren) ist bei Isolierstoffen sinnvollerweise gering, bei Wasser um den Faktor 15 bis 20 höher als bei Isolierstoffen, und bei Bodenmaterialien kann sie um den Faktor 100 größer sein, besonders, wenn die Böden feucht sind. Das bedeutet, besonders (feuchte) Böden können größere Wärmemengen speichern und sind gute Wärmeleiter. Dies führt beispielsweise dazu, dass man an bestimmten Tagen einen mit hohen Temperaturen geladen Wärmespeicher (verlängert die nächtliche Abkühlung) oder einen Eisblock (erzwingt einen höheren Heizwärmebedarf) auf seinem Dach hat. Dass dies zu Reduzierungen beim Energieverbrauch führt, darf stark angezweifelt werden.

 

Wenn man anstatt eines Gründachs den vorhandenen Raum nutzt, um die Wärmeisolierung zu verbessern, kann dies nur positive Auswirkungen haben. So wird die Möglichkeit der Überhitzung verringert und die Wärmeverluste in der Heizperiode werden (deutlich) reduziert und damit natürlich die CO2-Emmissionen.  

 

Werden statt einer besseren Wärmeisolierung oder eines Gründachs thermische Solarkollektoren installiert, verhindert dies automatisch mögliche Überhitzungen, weil die Wärme abgeführt und sinnvoll genutzt wird (siehe unten Zitat 10).

 

Klimaschutztechnisch könnte auch eine Kombination aus den beiden letzten Vorgehensweisen sinnvoll sein. Dies hängt von den Umständen und den finanziellen Möglichkeiten ab.

 

 

Leitbild Gründachstrategie

Zitat 9: [...] Die Vision für Hamburg ist, Neubauten und geeignete Flachdach-sanierungen über 100 m² mit grünen Dächern (Intensiv oder Extensiv) zu versehen. Mindestens 70 % der Neubauten [...]

Soll dies erzwungen werden?

Zitat 10: [...] Es wird von einem theoretischen Potenzial für Wohnungs- und Gewerbebauten von etwa 1 km² begrünbarer Dächer in fünf Jahren [...]

Regenwasser von Dächern zu sammeln und sinnvoll zu nutzen ist seit Jahrzehnten "Stand der Technik". Ich selber betreibe eine Anlage zur Regenwassernutzung seit über 30 Jahren ohne irgendwelche Probleme. Das Wasser wird überwiegend für die WC-Spülung genutzt. Dazu sollte man wissen, dass ungefähr ein Drittel des Wasserbedarfs in privaten Haushalten für die WC-Spülung verwendet wird. Dies ist bei einem täglichen Verbrauch von 120 Liter 40 Liter Trinkwasser (ein hochwertiges Nahrungsmittel!) pro Person. In Hamburg beträgt die jährliche mittlere Niederschlagsmenge gut 750 l pro Quadratmeter. Ein Kubikmeter Wasser kostet hier 1,85€ (Wasser) und 2,11€ (Sielgebühren). Wenn man davon ausgeht, dass man von 750 l beispielsweise "nur" 300 l Regenwasser pro Quadratmeter Dachfläche nutzen kann, ergibt das Einsparungen von 1,2 Millionen €  pro Jahr und Quadratkilometer.

 

Die Nutzung von Flachdächern (oder Dächern mit geringer Neigung) für die Gewinnung von solarer Energie (Photovoltaik/Solarthermie) bietet den großen Vorteil, dass man den Kollektor so ausrichten kann (Neigung und Himmelsrichtung), dass der jährliche Nutzen maximal ist. Man kann auch den Jahresverlauf des Ertrags beeinflussen, so führt zum Beispiel ein steiler Winkel zu kleineren Erträgen im Sommer und zu größeren Wärmeerträgen in der restlichen Zeit, als ein kleiner Winkel (was unter Umständen sinnvoll sein kann). Generell kann man sagen, dass Flachdächer geradezu optimal für die Gewinnung von solarer Energie sind. So kann man davon ausgehen, dass pro Quadratmeter thermischer Kollektorfläche 300 kWh bis 500 kWh Wärme pro Jahr gewonnen werden können. Die Werte für die Stromerzeugung über Photovoltaik-Anlagen kann dem Netz entnommen werden.

 

 

Neuzeitliche Gebäude verbrauchen pro Jahr zwischen 50 und 100 kWh Heizwärme pro Quadratmeter Wohnfläche. Dies zeigt deutlich, welches Potenzial Flachdächer haben, um die CO2-Emissionen und Heizkosten zu senken. Das Potenzial bei 1 km² liegt jährlich bei minimal 60.000 t CO2-Reduktion und Kosteneinsparungen von minimal 18 Mill. € (siehe unten *2).

Fazit:

Um die Beschlüsse und Ziele der Pariser Klimakonferenz umzusetzen, muss Deutschland bis zum Jahr 2050 dramatische Reduktionen bei dem Einsatz von nicht regenerativen Energieträgern vornehmen (beziehungsweise hat diese auch völkerrechtlich verbindlich zugesagt). Für Wohngebäude bedeutet dies, dass die Stromerzeugung, die Bereitstellung von Warmwasser und Heizwärme durch regenerative Energiequellen erfolgen muss. Wie weit wir (Hamburg) von den angestrebten Zielen entfernt sind, kann (Hamburgs CO2-Emissionen) entnommen werden. Warum man bei solchen Randbedingungen die "Gründachstrategie" ins Leben ruft, anstatt aktiv (CO2-Reduktionen) etwas für den Klimaschutz zu tun, ist unbegreiflich. Und die Frage: "Wie sollen die begrünten Häuser beheizt werden, woher soll die Energie zur Warmwasserbereitstellung kommen?" wird nicht beantwortet.

Ergänzung 1:

Die Schülergruppen "Fridays for Future" (*3), die im Moment jeden Freitag für einen zügigen Klimaschutz demonstrieren, fordern (*4) von der Politik unter anderem  eine CO2-Steuer von 180€ pro Tonne CO2. Dieser Preis entspricht laut Umweltbundesamt (*5) den Kosten, die dadurch zukünftigen Generationen entstehen. Bei dem oben angeführten Einsparungspotential von minimal 60.000 Tonnen CO2-Reduktion ergeben sich also noch zusätzlich noch minimal Kosten von 10,8 Millionen € pro Jahr für zukünftige Generationen.

Ergänzung 2:

Dem 2018 erschienenen klimafreundlichen Hamburg-Guide (*6) kann man unter anderem die „basic green facts“ über Hamburg entnehmen:

 

  • Hamburg ist grün, über die Hälfte der Stadtfläche ist nicht bebaut
  • fast siebzehn Prozent sind Grünflächen, Erholungsgebiete und Parks
  • gut neun Prozent der Stadtfläche sind Naturschutzgebiete
  • als eine der ganz wenigen Großstädte weltweit hat Hamburg einen Nationalpark
  • acht Prozent sind Wasserflächen
  • zwanzig Prozent sind Landschaftsschutzgebiete
  • neunundachtzig Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger leben nicht weiter als 300 Meter entfernt von einem Park.

 

 Wenn Hamburg so grün ist, warum dann Bitteschön die Dächer begrünen und den Klimaschutz verhindern?

 

 

Eine weitere Erkenntnis, die noch dem Guide zu entnehmen ist, und die ich überaus interessant finde, ist, dass wenn man weiß wie es geht, man in Hamburg nicht im Stau stehen muss, wenn man einen Leihwagen nimmt und damit dann wertvolle Lebenszeit gewinnt.  


 (*1)

(Quelle: www.wikipedia.de/)

Als biologische Invasion bezeichnet man allgemein die durch den Menschen verursachte Ausbreitung einer invasiven Art in einem Gebiet. Diese wird gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz, gestützt auf die EU-Verordnung Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014, definiert als „eine gebietsfremde Art, deren Einbringung oder Ausbreitung die Biodiversität und die damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen gefährdet oder nachteilig beeinflusst; Maßstab ist somit nicht die nationale Grenze, sondern der Raum einer natürlichen Lebensgemeinschaft.

 

(*2)

Wird Wärme mit fossilen Brennstoffen erzeugt, fallen dafür pro kWh zwischen 0,2 und 0,3 kg C02 an. Der Preis um eine kWh Wärme mit Gas zu erzeugen liegt (Stand 2017) bei ungefähr 0,06 €. Damit ergibt sich bei einem Quadratkilometer Dachfläche die Möglichkeit minimal 60.000 t CO2 [0,2 kg * 300 * 1000000 = 60 Mill. kg/Jahr] pro Jahr weniger zu emittieren, bei Kosteneinsparungen von 18 Mill. € [300 * 1000000* 0,06 € = 18 Mill. €]